
Buchvorstellung von Catherine Letourneur (Grundschullehrkraft, systemische Pädagogin, Fortbildnerin für Lehrkräfte, Referentin für Deutschdidaktik)
Games
Auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan
geschrieben und illustriert von Patrick Oberholzer
Splitter Verlag 3. Auflage 2024
Empfehlung für den unterrichtlichen Einsatz: Ab Klasse 7/8 – Sek.I + Sek. II
96 Seiten
Hardcover 22 €
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2024 in der Kategorie Sachbuch
„Games, so nennt man die Versuche, über eine Grenze zu kommen. Nicht im Sinne eines Spiels, aber im Sinne von <sein Schicksal testen>. Man kann ein Spiel gewinnen, aber auch verlieren“
Patrick Oberholzer
Games – Versuche, über die nächste Landesgrenze zu kommen und den eigenen Weg fortführen zu können oder solange an einem Ort zu verweilen, bis sich neue Möglichkeiten zu einer weiteren Flucht ergeben.
Auf dem Landweg und über das Meer flüchten Hamid, Nima, Afsaneh, Ziya und Muhammed nach Griechenland und dann über die Balkanroute nach Europa, in die Schweiz oder nach Deutschland.
Die Graphic Novel Games von Patrick Oberholzer erzählt von fünf unterschiedlichen Menschen und deren Fluchterfahrungen aus Afghanistan während der Jahre 2015, 2016 und 2019.
In seinem Vorwort rahmt der Autor seine Erzählung und gibt Einblick in die Entstehung von Games und die inhaltliche Entfaltung der fünf Fluchterzählungen aus Interviews und persönlichen Begegnungen.
„Es ist wichtig zu verstehen, dass diese fünf Erlebnisberichten lediglich einen kleinen Einblick in die Fluchtbewegungen aus Afghanistan geben. Die Fünf sind Teil einer Minderheit, die den langen Weg nach Europa auf sich nimmt, ihn erfolgreich bewältigt und anschließend mit einer fremden Person über das Erlebte sprechen möchte.“
Patrick Oberholzer
Zu Beginn des Buches beleuchtet der Autor den historischen Kontexts Afghanistans und dessen Geschichte von der Unabhängigkeit im Jahr 1919, über die sowjetische Besatzung und die immanenten Konflikte zwischen religiöser Tradition und gesellschaftlicher Öffnung und Moderne bis hin zur Rückkehr der Taliban-Herrschaft im Jahr 2021. Infografiken und Sachtexte ergänzen die Illustrationen zum Verständnisaufbau und werden zum Ausgangspunkt der individuellen Fluchterzählungen, die sich anschließen.
Die Leser:innen erfahren über die Lebensbedingungen in der Heimat Afghanistan, über die individuellen Gründe diese zu verlassen und den langwierigen Fluchtbewegungen.
Sich abwechselnde Perspektiven durchziehen die Erzählung und werden ergänzt durch allgemeine Informationen – wie die Finanzierung und Systematik der Bezahlung von organisierter Flucht über die Beteiligung vieler Personen und Länder hinweg, zu Fluchtrouten und deren allgegenwärtigen Gefahren.



Durch die persönlichen Bezüge der Protagonist:innen, die die Lesenden durch die Lektüre begleiten, bekom-men medial bekannte Hotspots in Griechenland (Moria, Kos), Buzzwords wie Transitländer, das Dublin-Abkommen und Asylverfahren eine individuelle Bedeutung und ermöglichen subjektive Bezüge und eine gleichzeitig sachliche Darstellung.
Deutliche Unterschiede zeigen sich in den Fluchterlebnissen zwischen 2015/16 und 2019.

Welche Grenzen passierbar sind, welche Fluchtroute genommen werden kann und welche Bedingungen und Begegnungen daraus resultieren, nimmt Einfluss auf das Schicksal der Erzählenden – auf die Chance für Asyl und den Möglichkeiten für ein neues Leben auf dem europäischen Kontinent. Immer wieder wird dabei auch Gewalt thematisiert, die die Flucht prägt: Pushbacks, Polizeigewalt, Misshandlungen durch Mitflüchtende oder Schlepper – alles unterfüttert und organisiert von einem System aus Profiteuren, die aus Fluchtbewegungen von großem bis zum täglichen Bedarf deckenden Gewinn monetarisierbare Rollen einnehmen und das System über alle Ländergrenzen hinweg versteckt und offensichtlich aufrechterhalten. Es wird gezeigt, wie gefährlich das Leben insbesondere für Frauen auf der Flucht ist und wie Gewalt, sexuelle Nötigung, Übergriffe und Menschenhandel für viele Flüchtende dazugehören.
In Europa angekommen beginnt je nach Aufnahmeland ein mehrjähriges Bangen und Warten um einen legalen, dauerhaften Aufenthalt und die Möglichkeit nach einem gleichberechtigten Leben und einer Integration in ein Land, eine Kommune, einen Ort – eine Gesellschaft.
Zum Abschluss nimmt Patrick Oberholzer die Leser:innen mit in die Entwicklung der Graphic Novel. Von den Gesprächen und Interviews mit Hamid, Nima, Afsaneh, Ziya und Muhammed hin zu ersten illustrativen Entwürfen und Sammlungen von Bildmaterial zur digitalen Bearbeitung. Die fünf Protagonist: innen begleiteten den Prozess fortwährend.


Ideen für Unterricht
Deutsch
Mögliche Lernangebote
ab Klasse 7/8 – Sek. II
Die vorgeschlagenen literarischen Lernaufgaben sind flexibel für alle Kompetenzstände im Deutschunterricht individuell schriftsprachlich anschlussfähig und gerne mehrsprachig bearbeitbar und übersetzbar. Zusätzliche Unterstützungsangebote zum Abbau von Barrieren wie (mehrsprachige) Hörtexte, diktierendes Schreiben oder Audio- und Videoaufnahmen, sprach- und bildverarbeitende KI etc. sollten für die Jugendlichen gewinnbringend und kompetenzfördernd eingesetzt werden. Außerdem bestehen Optionen, Lernaufgaben fächerübergreifend zu behandeln (Ethik, Geschichte, PoWi…).
! Anmerkung ! – Die in der Graphic Novel dargestellten Erfahrungen der Protagonist: innen sind individuell UND in Momenten ähnlich.
Teil von Schulklassen sind Jugendliche, die den Texten ähnliche und individuelle Lebenswege in der Vergangenheit beschritten haben. Die vorgeschlagenen Unterrichtsideen sind offen für neue, persönliche Perspektiven von Menschen mit einem Fluchthintergrund. Diese sollten aber niemals eingefordert werden und immer intrinsisch erfolgen.
Außerdem wurde versucht, Lernangebote zu konstruieren, die mit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen Bezugspunkte auf fachlichen Wegen herstellen können.
Games?!?
Die Schüler:innen konkretisieren ihr individuelles Verständnis des Begriffs Games, indem sie eigene Bedeutungszuschreibungen durch die Aktivierung des eigenen (sprachlichen) Vorwissens vornehmen und indem sie Kontexte suchen, in denen mit Games individuelle Erfahrungen gemacht wurden.
Im Anschluss erzählen sich die Lernenden durch Lernprodukte zum begrifflichen Gegenstand Games (z.B. in Form eines Sprachmemo, einer Videocompilation, eines Textes…) ihre individuellen Anknüpfungspunkte und setzen diese im Anschluss nach erster Textrezeption der Graphic Novel mit deren Wortbedeutung in Beziehung.
Ein Weg
Die Schüler:innen nutzen innertextliche Bezüge über den Gesamttext der Graphic Novel zur Sinnkonstruktion, indem sie einzelne Protagonistin:nen aus dem Gesamtzusammenhang lösen und deren Erzählung zunehmend komprimiert verstehen und (in [Schrift]Sprache) darstellen.
Die Schüler:innen fügen die Einzelerzählungen durch Präsentationen ihrer Darstellungen wieder zusammen und ko-konstruieren die (individuelle) Textkohärenz.
Startpunkt Afghanistan
Die Schüler:innen nutzen die Informationen der Sachtexte zu Beginn der Graphic Novel zum Verständnis historischer und aktueller Entwicklungen des Landes, indem sie die Erkenntnisse zu einem ausgewählten Textbereich kooperativ durch eigene Recherchen anreichern, diese (schrift)sprachlich zusammenfassen und präsentieren.
Buzzwords
Die Schüler:innen erklären (+ übersetzen) Buzzwords aus dem Kontext Flucht, indem sie Sachtexte der Graphic Novel nutzen, um ein Glossar anzulegen, das sie im Anschluss für einen kooperativen Faktencheck verwende.
Der Comic im Roman
Die Schüler:innen nutzen die Illustrationen zur Entwicklung einer individuellen Textidee für eine Sequenz in einem Panel oder einer Caption, indem sie die visuellen Elemente mit ihren individuellen Vorstellungen und Einfällen kombinieren.
Dabei können auch das Lettering durch die Reflexion von Wirkung diverser Schriftgestaltung thematisiert und Gestaltungselemente der Literaturgattung induktiv erarbeitet werden.
Neben dem Gesamtwerk kann hierbei besonders das Making-of des Autoren wichtige Hinweise geben.

Weiterführende Hinweise
https://www.patrick-oberholzer.ch/download/games
Unterrichtsmaterial-Paket des Autors zur Graphic Novel. Neun Arbeitsblätter mit Fragen zum Inhalt, Diskussionsthemen sowie Einzel- und Gruppenübungen.
